1940 bis 1945
Am 20.01.1942 beschließt
die Führung der deutschen Nationalsozialisten in Berlin Wansee
die Deportation und Ermordung aller europäischen Juden.
1941 verfiel das Vermögen
derjenigen Juden, die ins Ausland verzogen, abgeschoben oder deportiert
wurden dem Staat, seit dem 1. Juli 1943 auch das Vermögen der
Juden, die in Deutschland starben. Kauf und Verkauf der jüdischen
Immobilien wurde schriftlich geregelt, der Kaufinteressent hatte
bestimmte Regeln einzuhalten und Eigenschaften zu erfüllen.
Überlebende erbberechtigte
Nachkommen der enteigneten, verschleppten und ermordeten Oldersumer
Juden haben nach dem Zusammenbruch des "Hitler-Reiches" Anträge
auf die Rückübertragung der enteigneten bzw. unter Zwang
und i.d.R. weit unter dem Verkehrswert verkauften Immobilien gestellt.
Die im Staatsarchiv Aurich
aufbewahrten Akten geben genaue Auskünfte über den Wert
der Immobilie, nicht genehmigte Kaufverträge, Art und Weise
des Zwangsverkaufs, den letztendlich bezahlten Kaufpreis und über
verschiedene "Ausschaltungs-, Entrechtungs- und Neuverteilungspraktiken"
der Nazi-Behörden. Aufgrund der Sensibilität der Akten
(Datenschutz und Schutz der Opfer) können Einzelheiten hier
nicht wiedergegeben werden.
Einzelschicksale Oldersumer Juden
Isaak und seine
Schwester Marianne Cohen
lebten etwa bis um 1930 im Haus Neustadt 22 ("Gemüse Bruns")
und zogen dann in das Haus Neustadtstraße 4 (später "Thole
Schlömer/Martin Rhoden"). Dort lebten sie bis zu ihrer Deportation,
obgleich sie am 17.09.1939 noch im Haus Neustadt 22 gemeldet sind.
Isaak Cohen war Frontsoldat im I. Weltkrieg, wurde verwundet (auf
einem Auge blind) und erhielt neben dem Verwundetenabzeichen das
Eiserne Kreuz, Marianne war von Geburt an gehbehindert. Isaak und
Marianne Cohen ("Itti und Marjane") hatten einen kleinen landwirtschaftlichen
Betrieb und eine Schlachterei. Nachdem durch die nationalsozialistischen
Gesetze der Handel untersagt und nur noch Nachts bzw. "durch die
Hintertür" stattfinden konnte, verschärfte sich ihre wirtschaftliche
Situation. Einige Oldersumer gingen zu handgreiflichen Aktionen
gegen ihre jüdischen Mitbürger über; nicht selten
wurde Marianne Cohen von ihren Nachbarn bespuckt und beschimpft.
Dennoch behielten einige Oldersumer auch weiterhin persönliche
oder wirtschaftliche Beziehungen zu ihnen aufrecht, nicht selten
zum eigenen wirtschaftlichen Nachteil. Marianne und Isaak Cohen
wurden als letzte Oldersumer Juden im März oder April 1940
vom Oldersumer Bahnhof aus mit dem Zug in das Vernichtungslager
Auschwitz deportiert, wo sie starben.
Adele Polak, geb.
Goldschmidt, lebte nach dem Tode ihres Mannes Jacob noch weiterhin
im Hause Neustadtstraße 7 ("Wurps/de Boer") und führte
die Schlachterei weiter. Wann sie Oldersum verließ bzw. deportiert
wurde ist unklar. Adele Polak wurde in Minsk ermordet.
Über den Verbleib
von Amalie (Martha) Polak ist wenig bekannt. Am 17.09.1939
ist sie noch im Haus Neustadt 22 gemeldet. Sie verzieht später
nach Berlin und wird nach Litzmannstadt (Lodz) deportiert, wo sie
am 23.01.1942 stirbt.
Isaak-Abraham (genannt
Karl) Polak und seine Frau Bertha, geborene Gottlieb, bewohnten
1926 noch das Haus Markt 65 ("Nonno Brunken"). Später zogen
sie in das Haus Kirchstraße 177, direkt links neben dem Kaufhaus
ter Vehn. "Karl" und Bertha Polak waren angesehene Bürger Oldersums
und bekleideten öffentliche Ämter im Ort: Frau Polak war
mit im Vorstand des Wohltätigkeits-vereins "Eintracht" und
"Karl" Polak "Mitglied des Schulrates" und "Hauptmann" der Freiwilligen
Feuerwehr Oldersum. "Karls" Mutter Martha Polak, geborene Polak,
lebte noch bis zu ihrem Tode am 01.01.1938 mit im Hause. "Karl"
und Bertha Polak wurden zusammen mit ihrer Tochter Martha Herz,
geb. Polak und der Enkelin Ingeborg Herz (im April 1940
kurz vor der Vollendung des 4. Lebensjahres !) aus ihrem Haus mit
dem LKW abgeholt und in die Vernichtungslager deportiert.
Jakob und Nettchen
Polak, geborene Jacobs, zogen etwa 1926/27 vom Haus "Polak"
(Brückstraße 182, neben Hof Dyke Buss) nach Rorichum in
das Haus "Pommer", heute Deichlandstraße 25. Am 29.08.1923
wurden die Zwillinge Albert und Ilse geboren. Die Polaks haben,
nachdem sie Rorichum ca. 1934/35 verlassen mußten, noch eine
Weile in Emden gewohnt. Die Familie wurde Anfang 1940 auseinandergerissen:
Jakob Polak mußte im April 1940 Ostfriesland verlassen und
hat vorübergehend in Berlin gelebt. Die Tochter Ilse wurde
(im Alter von 17 Jahren) nach Frankfurt deportiert. Alle vier sind
im Konzentrationslager Auschwitz umgebracht worden.
Julius Müller
und seine Ehefrau Julie-Johanna, geborene Zilversmit, heirateten
am 11.08.1919 in Oldersum und führten im Haus Kirchstraße
174 ("Schuster Heyen") ein Manufakturwarengeschäft ("Müller
& Zilversmit"). "Julius Müller, Manufakturwaren, Kirchstraße
174, Tel. 78" wird auch im Adressbuch 1926 genannt. Julius Müller
und Frau zogen später nach Emden und wurden von dort deportiert.
Julius Müller wurde im Konzentrationslager Theresienstadt ermordet,
der Todesort von Julie-Johanna Zilversmit ist unbekannt.
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