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OSTFRIESLAND

 

 

 

 

 

 


Sternstunden

Der August 1996 war ein ganz Besonderer seines Zeichens. Die langen, warmen Tage machten ihn zu einem der außergewöhnlichsten Sommermonate, die Ostfriesland bis dato je zu Gesicht bekam. Wir hatten herrliche Gewitter, die für mich immer wieder ein Naturschauspiel der ganz speziellen Art waren und lange, traumhaft milde Nächte. An eine dieser Nächte kann ich mich noch ziemlich gut erinnern, denn ich erlebte wieder einmal etwas ganz Besonderes, wie es nur selten passierte.

Der Samstagmorgen war für mich immer mit einem Gefühl der Vorfreude verbunden. Wenn nicht gerade familiäre Verpflichtungen angesagt waren, dann stand für mich schon fest, dass ich wieder Würmer baden ging. Arnd, einen Kumpel aus der Nachbarwohnung, hatte ich heute zum Essen eingeladen. Ich lud gerne mal Freunde zu mir nach Hause ein, denn dann war ich gezwungen, meine Bude zu putzen und aufzuräumen. Das funktionierte jedes Mal. Man will sich ja schließlich nicht blamieren. Während wir aßen, erzählte ich ihm von meinem Vorhaben, mir die Nacht am "Großen Meer" in Bedekaspel um die Ohren zu schlagen. Ein bisschen Anglerlatein und schon hatte ich ihn von meiner Idee begeistert.

Am Abend hatten wir dann die gesamte Ausrüstung zusammengepackt. Ich musste sogar noch die Rücksitze meines Mazda 323F nach vorne klappen, um auch den Angelschirm, die Schlafsäcke und den großen Eimer mitnehmen zu können. Ich hatte auch schon mal in Erwägung gezogen, absichtlich nur den kleinen Eimer mitzunehmen, denn vermutlich fing man ja gerade dann den "Fisch des Jahrhunderts", aber immer, wenn ich solche Gedanken hatte, bekam ich von dem kleinen Engelchen auf meiner Schulter eine saftige Ohrfeige und befand mich wieder im richtigen Leben.

Mittlerweile hatten wir uns in den Anglerzeitschriften so viele "Kapitale Monster" angesehen, dass wir gar nicht schnell genug zum großen Meer gelangen konnten. Im Auto hatten wir uns mit Fertigkuchen bewaffnet, was total ungewöhnlich war, denn ich war mit diesem Auto wirklich pingelig. Aber jetzt war alles egal, denn wir hatten nur einen Gedanken! Kuno, der Killerkarpfen wartet! Ein mutiger Hase hatte kurz hinter der Moordorfer Kreuzung versucht, mit seinem Genick meine Stoßstange zu zertrümmern. Der Versuch war kläglich gescheitert. Ich legte den toten Hasen an den Straßenrand und überlegte betroffen, ob ich den "Unfall" nicht hätte verhindern können. Arnd meinte allerdings, dass der Tod dieses schönen Tieres wohl unvermeidlich gewesen war. Am Meer angekommen packten wir die Sachen aus dem Auto und steckten Knicklichter in die Posen. Dann schnell die Würmer auf die Haken und raus mit den Jungs zum Baden und Fische anmachen. Als alle Angeln ausgeworfen waren, bemerkten wir erst, wie ruhig es heute war.

Die letzten Surfer hatten ihre Bretter bereits an Land und rollten die Segel zusammen. Das Vogelgezwitscher verstummte nach und nach und wir genossen das leise Brechen der Wellen an den Uferkanten. Die Dämmerung schritt immer weiter fort und die leuchtenden Posen tänzelten lustig auf den Wellen. Arnd brachte gerade leise den UKW- Empfänger in Gang und faselte irgendwas von Dire Straits, als sich eine der Posen auf Tauchstation begab. "Siehst du", sagte ich leise. "Schon geht's los!" Ich wartete noch einen Moment, um dann die Schnur einzuholen, bis sie straff war. Jetzt hob ich die Rute ruckartig an und ließ den Fisch erst mal toben, um sich abzureagieren. Dann landete ich einen stattlichen Aal, der in meiner Räuchertonne bestimmt eine gute Figur machte. Kaum hatte ich den Kumpel an Land, fing er an sich zu wälzen und versuchte, sich einzugraben. Arnd hatte schon die Petroleum-Lampe angemacht und brachte ein Stück Zeitungspapier. Wenn man Aale auf Zeitungspapier legt, hören sie sofort auf zu zappeln. Dann nahm ich den Hakenlöser und befreite den Aal von seinem Leid.

Die nächste halbe Stunde passierte nicht viel. Wir legten uns in unsere Schlafsäcke und redeten über den toten Hasen, die Gute-Alte-80er-Jahre-Musik und Frauen, die keine Ahnung hatten, was für tolle Kerle wir doch waren. Dann merkten wir plötzlich, dass wir durch unser ständiges Gequatsche und die helle Petroleum-Lampe so abgelenkt waren, dass wir überhaupt nicht bemerkt hatten, wie wolkenlos und sternenklar der Himmel heute nacht war. Also legten wir uns auf den Rücken, und schauten in die Sterne. Kaum hatten wir unsere Unterhaltung fortgesetzt, schoss ein Komet über den Himmel und ließ einen langen Schweif folgen. Kurz darauf wieder einer. Fasziniert von diesem Anblick schauten wir weiter in den Himmel. Wann bekam man schon mal eine Sternschnuppe zu sehen. Und jetzt schien der Silberregen gar kein Ende zu nehmen. Eine nach der anderen zeigte ihren langen Silberschweif. Wir redeten und schauten in den Himmel, bis Arnd plötzlich meinte: "Lass uns am besten noch mal nach den Angeln sehen."

Die kleine "Leuchtboje", die ich direkt vor dem Schilfgürtel platziert hatte, war bis kurz vor unsere Füße direkt ans Ufer gewandert. Eine andere Pose war gerade dabei in den Wellen zu verschwinden und tauchte immer wieder kurz ab, während sie immer weiter aufs Meer hinaus schwamm. "Oh Scheiße!" Arnd wollte zur Rute rennen, die schon halb im Wasser lag, denn ein harter Ruck hatte sie aus der Halterung gerissen. Ich hatte anscheinend vergessen, den Rollenbügel aufzumachen. ZACK! - schon war er gestolpert und landete mit dem Arm auf dem Angelkasten, der heftig raschelte. Es folgte wieder ein lautes "Scheiße!" und ich fragte mich, ob er wohl noch andere Schimpfwörter kannte. Dann holte ich die Angel ein, die am nächsten dran lag. Jetzt hatte auch Arnd seine Rute erreicht. Bei meiner war der Köder abgelutscht. Der Haken war gänzlich blank. Mistvieh! Ein Dankschreiben hatte ich allerdings auch nicht erwartet. Ich legte die Rute zur Seite und lief schnell zur nächsten, während Arnd einen Anhieb setzte. Sssssssurrrrr! Seine Rollenbremse war zu locker und der Anhieb hatte seiner Rolle eine gigantische Perücke verpasst.

Schon sehr bald wusste ich, dass Arnd doch noch einige andere Schimpfwörter auf dem Kasten hatte. Er fluchte mal laut, mal leise vor sich hin, bis er die Schnur wieder entwirrt hatte. Der Kescher lag ein ganzes Stück weit entfernt und weil keiner von uns die Möglichkeit hatte ihn zu holen, drillten wir die Fische aus und hoben sie an der Angel an Land. Sie entpuppten sich als Aale und der von Arnd sah wirklich komisch aus. Man konnte nicht einmal sagen, dass er zu kurz war. Er war einfach zu dick für seine Länge.

Nachdem wir die Aale im Eimer und das Chaos beseitigt hatten, wurden die Angeln neu ausgelegt. Es dauerte gar nicht lange, bis sich die leuchtenden Posen wieder meldeten, oder besser gesagt auf Achse gingen. Wir fingen neun Aale und zwei Brassen in dieser Nacht. Das waren wahre Sternstunden, und das gleich im doppelten Sinne. Erstens hatten wir wieder einen Riesenspaß und Erfolg beim Angeln gehabt. Zweitens hatte ich noch nie in meinem Leben so viele Sternschnuppen in so kurzer Zeit gesehen. Die Aale wurden zuhause natürlich gleich fertig gemacht und eingefroren. Allerdings hielten sie sich nicht lange in der Truhe, denn kurz darauf wurde die alte Räuchertonne, die längst schon ausgemustert werden sollte wieder reaktiviert und wir ließen uns den Lohn unserer "Arbeit" auf der Zunge zergehen.

Manchmal fragen mich die Leute, wie ich nur stundenlang gelangweilt auf meine Angeln schauen kann. Das wäre doch echt stinklangweilig. "Stimmt", sage ich dann einfach und denke lächelnd an solche Sternstunden zurück, wie ich sie mit meinem Kumpel Arnd am Großen Meer erlebt hatte.

H. Seeger