Die
Notlösung
Den
ganzen Vormittag war ich mit meinem Cousin Hendrik unterwegs gewesen,
um von Larrelt mit der kleinen Segeljolle über die schmalen
Kanäle bis zum kleinen Meer (Hieve) zu kreuzen. Das kleine
Boot hatte zwar auch einen Motor, aber den wollten wir noch nicht
benutzen (Stolz der Survival-Spezis). Außerdem wollte ich
das schöne Geräusch nicht missen, wenn die Wellen gegen
den Bootsrumpf platschten. Es war Ende Juli und so heiß, dass
wir zwischendurch ständig ins Wasser gingen, um keinen Hitzeschlag
zu bekommen. Es sollte das ultimative Angel-Zelt-Grill-Segel-Survival-Abenteuer
werden. Wir hatten nicht mal lange geplant. Ein kurzer Anruf am
Vortag hatte zu dieser Idee geführt.
Jetzt
waren wir fast am Ziel. Auf einigen Booten, die uns entgegen kamen,
räkelten sich barbusige Schönheiten auf dem Vorderdeck,
die mit geschlossenen Augen das Sonnenlicht anzubeten schienen.
Das sollte am Abend noch für reichlich Gesprächsstoff
sorgen. Mittlerweile sahen wir schon den kleinen Bootssteg, der
direkt am Meer lag und konnten es kaum abwarten, endlich die Angeln
auszuwerfen. Als erstes wurde der Setzkescher mit den Getränken
ins Wasser gelassen. Dann wurden die Angeln mit Würmern beködert,
die ich bei meinem Onkel aus dem Misthaufen ausgebuddelt hatte.
Das war jedesmal eine Tortur für meinen Gewürzprüfer
(Nase, Zinken), aber dafür hatte man einen echten Topköder.
Hendrik
nahm sich das Zelt vor und fing leise fluchend an, die Stangen zusammenzustecken.
Vor den Büschen war es zwar schattig, aber das lockte natürlich
Scharen von Mücken an unseren Zeltplatz. Ich nahm die kleine
Schaufel und grub eine kleine Mulde als Feuerstelle. Hin und wieder
schaute ich nach den Angeln, aber bei der Hitze tat sich nicht viel.
Also paddelte ich mit dem Boot los, um Holz für das Lagerfeuer
zu organisieren.
Als
ich wieder zurückkam, war das Zelt aufgebaut, die Sachen verstaut
und um die Feuerstelle lagen Steine. Obendrauf lag ein Gitterrost.
Dann wurden die Grundangeln wieder eingepackt und wir fuhren mit
den Spinnruten aufs Meer. Nachdem wir die Ondex-Spinner und Gummifische
so oft durchs Wasser gezogen hatten, dass wir schon lahme Arme hatten,
konnte sich doch noch ein kleiner Flußbarsch für Hendriks
Köder entschließen. Vielleicht hatte er ja einfach Mitleid
mit uns. Wir ließen ihn wieder frei, nachdem er uns versprach,
seine großen Verwandten vorbeizuschicken. Wir badeten noch
lange und fuhren danach zurück zu unserem Zeltplatz.
Die
Grundangeln wurden wieder fit gemacht und dann gab es erst einmal
belegte Brote aus der Kühltasche und Alster aus Dosen - meerwassergekühlt!
Plötzlich kam Bewegung ins Spiel. Die Pose an der Schilfkante
legte sich hin und die "Lange Anna", meine rote Karpfenpose,
fing ebenfalls an zu tanzen. Das war der Anfang einer stressigen
halben Stunde. Während Hendrik sich mit einem widerspenstigen
Aal abmühte, zog ich einen Barsch nach dem anderen an Land.
Der kleine Barsch vom Meer hatte also sein Versprechen gehalten.
Die Fische wurden später abgezogen, gewürzt und über
dem Lagerfeuer gebraten.
Nach
zwei Tagen waren ein paar weniger nennenswerte Fänge im Kescher
gelandet. Jetzt war der Ködervorrat völlig ausgeschöpft.
Was nun? Wir mussten dringend eine Lösung finden, denn keiner
von uns hatte Lust, den Ansitz wegen Ködermangels zu beenden.
Wir versuchten, mit der kleinen Schaufel Würmer auszubuddeln,
aber das war vergeblich. Jetzt fuhr Hendrik mit der Jolle los, um
die "Nachbarn" zu fragen. Keine Chance!
Als
er wieder zurückkam, hatte ich Dosensuppe aufgewärmt.
Dann setzten wir uns an das Feuer und sahen zu, wie ein junger Mann
mit einem kleinen Mädchen in einem Ruderboot auf das Meer fuhr
und etwa fünfzig Meter von uns entfernt den Anker auswarf.
Er legte zwei lange Ruten mit Köderfischen aus. Nach etwa 10
Minuten verschwand eine der Posen und tauchte ein ganzes Stück
weiter wieder auf. Toll - wollte der uns ärgern? "Das
darf nicht wahr sein," brummte Hendrik. Wir sahen uns an und
konnten nur den Kopf schütteln.
Gemächlich
steckte der Typ sich erst einmal eine Zigarette an und schaute zu,
wie die Pose wieder verschwand. Irgendwie machte er einen völlig
entspannten Eindruck. Nachdem er dann mit der Zigarette fertig war,
nahm er seine Angel in die Hand, klappte den Rollenbügel um,
holte die Schnur ein Stück ein und setzte lässig den Anhieb.
Jetzt fing seine Rollenbremse an zu kreischen. Die Angel bog sich
mächtig und der Fisch nahm Meter für Meter von der Rolle.
Ich wusste nicht recht, ob ich mich über das bevorstehende
Ereignis freuen, oder einfach nur im Boden versinken sollte. Mein
Cousin saß einfach nur mit offenem Mund da und bekam kein
Wort mehr heraus.
Der
Mann stellte die Bremse fester ein und pumpte den Riesen heran.
Ein lautes Plätschern an der Wasseroberfläche, und er
musste dem Fisch wieder Schnur geben, um keinen Abriss zu riskieren.
Nach langem Kampf durfte das kleine Mädchen, das etwa sechs
oder sieben Jahre alt und vielleicht seine Tochter war, einen Hecht
von deutlich mehr als einem Meter Länge keschern. Jetzt hielt
er den Brocken in unsere Richtung hoch und lachte. Wir applaudierten
mit brummigen Mienen.
Das
war zuviel!!! Wollte uns etwa der heilige Petrus bestrafen, nur
weil wir keine Köder mehr hatten? Es musste irgendeine Notlösung
her. Das konnten wir uns nicht bieten lassen - so nicht mit uns!
Nach langem überlegen meinte Hendrik dann, dass wir zu Köhnemann,
einer nicht weit entfernten Kneipe fahren sollten, um telefonisch
"Irgendwas" zu regeln. Ich wollte gerade aufstehen, als
meine Hand eine Salamipackung berührte, die wir draußen
liegengelassen hatten. Die Scheiben waren schon ziemlich hart geworden,
und klebten aneinander. "Lass uns doch hiermit angeln",
sagte ich in meinem Frust. "Warum nicht?" Hendrik fing
an die Salami zu zerstückeln und ich konnte nicht glauben,
dass er wirklich Ernst machte.
Raus
mit der Salami! Wir lachten uns krumm, als wir die Angeln auswarfen,
aber das Lachen sollte uns schon bald vergehen. Bereits nach ein
paar Sekunden verschwand die erste Pose und Henrik zog einen Brassen
von der Größe eines Klodeckels an Land. Der wanderte
dann umgehend auf den Grill. Die nächste Attacke ging ins Leere,
aber dann nahmen immer wieder große Rotfedern, Rotaugen und
Brassen unsere Salami. Ich konnte sogar noch einen Karpfen von 6
Pfund landen und Hendrik verlor noch einen im Drill kurz vor dem
Bootssteg.
Bald
war auch die Salami aufgebraucht. Wir segelten noch einen Tag und
fuhren schon bald danach nach Hause. Erstens hatten wir wirklich
eine Menge erlebt und zweitens hatten wir einiges dazu gelernt.
Wir nahmen uns vor, bald wieder angeln zu gehen und diesmal sollte
auf jeden Fall eine Rute mit Salami beködert werden. Und vielleicht
würden wir ja auch mal den einen oder anderen Köderfisch
auslegen...
H.
Seeger
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