Der
goldene Hecht
...diesmal
hatte ich wirklich an alles gedacht. Die Thermoskanne hatte zwar
bedenklich geklickt, als ich sie gegen 04:30 Uhr mit fertiggezuckertem
und durch Trockenmilch (Plastikkuh) leicht erhelltem Ostfriesentee
füllte, schien aber trotzdem noch gut zu funktionieren. Eine
Ewigkeit - von Dienstag bis Samstag - hatte ich diesem Tag entgegengefiebert,
wie es wahrscheinlich nur Angler können.
Bereits am Mittwochabend waren meine Teleskopruten fertig montiert.
35er Schnur, Hechtpose und Stahlvorfach mit Doppeldrilling. Eine
langerprobte und für gut befundene Montage.
Beim Einpacken der Angelsachen war mir mit meinen beiden Hosen,
den beiden Pullovern, meinem Thermo-Hemd und den alten Bundeswehrstiefeln,
in denen sich außer meinen Füßen noch 2 Paare dicke
Socken befanden doch reichlich warm.
Draußen war es dagegen eisig kalt. Kein Wunder - das hat der
frühe Dezember nun mal so an sich.
Schnell waren die Sachen im Auto verstaut und die Müdigkeit
in meinem Gesicht hatte sich in ein erwartungsvolles, zufriedenes
Lächeln verwandelt. Nur noch ins Auto und... ich Dussel!
Beinahe hätte ich die Brote und den Tee auf dem Küchentisch
liegen lassen. Blitzschnell rannte ich noch einmal ins Haus zurück
und kurz darauf waren meine Siebensachen endlich komplett.
Rooaaar...! Mit einem lauten Seufzer zeigte der alte Golf Diesel
seinen Unwillen über die frühe Störung, parierte
dann aber doch jeden meiner Befehle.
Um
05.20 Uhr hatte ich dann endlich mein Ziel erreicht. Es war der
Abelitz-Moor-Kanal. Zwangsläufig wurde ich in diesem Moment
noch einmal an meinen Spezial-Zander-Killer erinnert, einen Mepps-Spinner
mit gelbem Twisterschwanz, den ich vor drei Wochen unter der Steinbrücke
ganz in der Nähe bei einem mächtigen Hänger verloren
hatte. Aber selbst dieses bittere Ereignis konnte meine Stimmung
jetzt nicht trüben. Außerdem lag die Spinnrute eh` zuhause.
Heute war Grundangeln dran.
Helmut
wäre heute sicher gerne dabei gewesen. Er ist auch leidenschaftlicher
Angler. Das Gute an Helmut war, dass er einen Teich auf einem großen
Stück Land gepachtet hatte. Dort ging ich öfter mal hin,
um meine alten Brotreste loszuwerden. Hätte er mich gestern
beobachtet, dann hätte er sich wahrscheinlich gefragt, wozu
man beim Fische füttern ein Senknetz benötigt?!
Jedenfalls...
ich fing an, meine Sachen auszupacken und nach etwa zwanzig Minuten
waren die Rotaugen (mein Lieblings-Hechtköder) abgeschlagen,
durch eine Spritze mit verdünntem Lockstoffkonzentrat präpariert
und jeweils mit zwei Drillingshaken versehen.
Die Angeln wurden in die selbstgebastelten Rutenhalter gestellt,
die ich bereits in der Erde verankert hatte.
Jetzt wurden die Köder direkt an der Rutenspitze heruntergelassen,
und die Angelschnur mit einem Schnurclip an der Rute fixiert. Die
toten Rotaugen hätten ihre liebe Mühe, die Schnur aus
dem Clip zu ziehen. Esox (der Hecht) hingegen würde es wahrscheinlich
nicht einmal merken, wenn er gierig meinen Köderfisch attackiert,
um viel zu spät zu bemerken, dass er gerade dabei ist, mir
den Tag zu versüßen.
Meine Hechtposen waren in der frühen Dunkelheit nur schwer
zu erkennen, aber der Schnurclip würde mir problemlos jeden
Biss verraten.
Jetzt
hieß es warten! Meine Hände hatten sich mittlerweile
leicht verfärbt, und ich muss ausgesehen haben wie Reinhold
Messner in 7000m Höhe, nur dass ich keinen Bart hatte. Wie
soll man auch mit Handschuhen seine Angeln fertig machen. Der Tee
tat aber schon bald seine Wirkung und ich hatte mich schnell wieder
aufgewärmt.
Langsam erwachte der Tag. Ganz in der Nähe war plötzlich
ein lautes Plätschern zu hören. War da etwa schon der
Hecht am jagen? Die Zeit war richtig, das Wetter perfekt. Höchste
Zeit, einmal nach den Angeln zu sehen. Bei der ersten hatte sich
nichts getan. Bei der zweiten war die Pose auch noch zu sehen. Lediglich
die Schnur hatte sich irgendwie aus dem Clip gelöst... hey,
wie kann sich die Schnur von selbst aus dem Clip lösen?!
Nur ein kleiner Adrenalinschub, aber der war deutlich zu spüren!
Jetzt war es soweit. Kaum hatte ich das gedacht, fing die Pose auch
schon an zu wandern.
Bei der Montage mit dem Doppeldrilling konnte man ziemlich schnell
einen Anschlag setzen. Das tat ich jetzt auch. Der Widerstand war
enorm und meine alte 4,20er Silstar zeigte eine stattliche Aktion.
Wäre die Rollenbremse nicht voreingestellt gewesen, hätte
die Schnur sich vielleicht verabschiedet. Jedenfalls sang meine
Rolle jetzt das Klagelied der Caprifischer, bis ich sie etwas fester
einstellte.
Dann merkte ich, dass da etwas nicht stimmt. Hechte treiben nun
mal nicht mit der gleichen Geschwindigkeit vorwärts und Welse
gibt es hier nicht, auch wenn mancher Stammtischangler sicher etwas
anderes behauptet.
Der Protest ließ langsam nach und ein alter Jutesack kam zum
Vorschein. Mist! - Die schöne große Rotfeder war verschwunden.
Auf
dem Weg zurück zum Köderfischeimer schaute ich noch einmal
zu der Angel, die ich im Hafenbecken platziert hatte. Ich legte
die alte Rute beiseite und fing an die große rot-gelbe Pose
zu suchen. Diesmal war ich mir sicher. Meine Pose war komplett verschwunden!
Das Dumme war nur, dass ich nicht wusste, wo sie war und wie lange
sie sich schon unter Wasser befand. Allerdings konnte ich jetzt
sehen, wie sich die Schnur von links nach rechts bewegte. Dann kam
auch die Pose langsam nach oben. Sie schoss unter der Wasseroberfläche
entlang und ließ meinen Puls in die Höhe schnellen. Den
Jutesack möchte ich mal sehen, der das kann! Höchste Zeit,
den Anschlag zu setzen, um zumindest einen der beiden Drillingshaken
im Maul des Räubers zu verankern.
Jetzt
begann ein heißer Ritt! Der Haken hatte ihm nicht geschmeckt.
Wie um dies zu bestätigen, schoss er jetzt mit seiner ganzen
Pracht aus dem Wasser und tanzte ChaChaCha auf seiner Schwanzflosse.
Ein beeindruckender Anblick. Als nächstes schwamm er unter
einem Bootssteg durch. Das hatte mir gerade noch gefehlt - dabei
war ich wirklich kein Mensch für Frühsport. Ich legte
mich flach auf den Steg, und reichte die Angel mit der rechten Hand
drunter durch, um sie mit der linken entgegenzunehmen. Hoffentlich
hatte das niemand gesehen, denn das sah garantiert zum Schiessen
aus. Das würde wieder eine der Geschichten werden, die einem
keiner abkauft. Wäre Helmut bloß mitgekommen. Für
so was braucht man einfach einen Zeugen. Jetzt musste ich den Burschen
nur noch keschern. Es war zwar kein Goliath, aber dafür wehrte
er sich wirklich mit aller Kraft. Ein paar Minuten später lag
ein Hecht von 63cm Länge im Gras. Der Tag war gerettet.
Ich
lief zu den anderen Angeln, um sie zu kontrollieren. Die Posen lagen
unverändert, deshalb lief ich zurück, um die alte Silstar
wieder mit einer Rotfeder zu bestücken. Der Hecht lag noch
immer im Gras, aber was war das?! Die Farbe hatte sich verändert.
So etwas hatte ich noch nie gesehen. Der Hecht hatte einen goldenen
Schimmer bekommen. Er sah plötzlich etwas gelblich aus. Als
das erste Staunen vorbei war, musste ich schmunzeln, weil ich mich
in diesem Moment fragte, ob es in China wohl auch solche Hechte
gäbe. Oder hatte er etwas wie Gelbsucht? Ausgeschlossen!!!
Hechte kriegen nun mal keine Gelbsucht. Ich schaute ihn noch eine
ganze Weile an. Der gold-gelbe Schimmer auf seinen Schuppen hielt
nicht lange an, dafür aber die Erinnerung an einen der schönsten
Angeltage, die ich bislang erlebt hatte...
H.
Seeger
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