Ziegelei-Museum, Rheiderland - einst Ziegelei Cramer, Midlum

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Lippische Wanderarbeiter in Ostfriesland

Im Niederrheiderland ist der Ausgangspunkt der lippischen Wanderziegelei zu suchen. Ostfriesland und hier insbesondere das Rheiderland bilden die "Mutterregionen" einer später fast europaweiten Wanderbewegung der lippischen Wanderziegelei. Die typischen Formen der Arbeitsorganisation - etwa die "Lipper Commune" - haben sich hier unter den spezifischen Arbeitsbedingungen der Kleiziegeleien entwickelt und lassen ihrerseits Rückschlüsse auf das Rheiderländer Ziegeleiwesen zu.

Am 27.3.1772 berichteten die beiden Ziegler Ubbo Hansen Dirkssen und Lantzius im Zusammenhang mit der zwangsweisen Anwerbung von drei lippischen Wanderzieglern in Emden, dass in Ostfriesland "keine eintzige Ziegelhütte durch einheimische Arbeiter, weil diese solcher schweren Arbeit nicht gewachsen noch gewohnt [seien,] bedient werden können".

1824 gab es allein in den 18 produzierenden Ziegeleien des Rheiderlands 148 Lipper. 1865 arbeiteten 300 von 688 auf ostfriesischen Ziegeleien beschäftigten Lippern im Amt Weener. Gleichzeitig gingen aus dem Rheiderland ca. 200 einheimische Personen in die angrenzenden Niederlande, um dort eine Saisonarbeit anzunehmen. Es gibt also das Phänomen, dass Wanderarbeiter regelmäßig und in großer Zahl im Rheiderland Beschäftigung fanden und gleichzeitig eine große Zahl von einheimischen "Hollandgängern" auswärts Arbeit suchte. Warum bemühten sich diese einheimischen Arbeitskräfte nicht um die Saisonarbeitsplätze auf den Ziegeleien? Welche Voraussetzungen mussten gegeben sein, damit die Saisonarbeit auf den Ziegeleien zu einer offensichtlichen Domäne der Lipper werden konnte?

Über die Anfänge der lippischen Wanderarbeit

Es gibt kein eindeutiges Datum über den Beginn der lippischen Wanderarbeit in Ostfriesland. Zu Beginn des 17. Jahrhunderts war das Ziegelbrennen im Rheiderland wohl eine Arbeit, die regelmäßig oder sporadisch von kleinen, wenig angesehenen Arbeitern in den Dörfern an der Ems erledigt wurde.

Lippische Wanderziegler gab es als "Frieslandgänger" an der Ems aber bereits seit etwa der Mitte des 17. Jahrhunderts. Piet Lourens und Jan Lucassen vermuten, dass die Spezialisierung der lippischen Ziegler eine Konsequenz der im frühen 17. Jahrhundert einsetzenden Saisonarbeit lippischer Wanderziegler in den Torfmooren nahe den norddeutschen Küsten zu sehen sei:

"Es hat den Anschein, dass sich dieser Kontakt lippischer Arbeitswanderer mit dem Ziegeleigewerbe am Unterlauf der Ems vollzogen hat. [...] Es ist anzunehmen, dass sie diese Gebiete schon länger als Arbeitswanderer aufgesucht hatten, dort aber in anderen Betriebszweigen tätig waren. Am glaubhaftesten scheint die Vermutung, dass sie anfangs in der niederländischen Provinz Friesland nicht nur Gras mähten, sondern auch im Frühjahr in den Groninger Mooren Torf stachen. Die dortigen Abtorfungen wurden in großem Umfang durchgeführt und erforderten im Gegensatz zu den damals weitaus kleineren ostfriesischen Abtorfungen, viele Arbeitskräfte. [...] Die Groninger Schiffer lieferten im 17. Jahrhundert Torf nach Ostfriesland, insbesondere jene aus Pekela setzten viel Torf auf dem Markt in Emden ab. Dieser Torf wird zum Teil auch für die ostfriesischen Ziegeleien bestimmt gewesen sein. Als in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts die Arbeitsgelegenheiten in den Groninger Mooren stark zurückgingen, werden, so ist anzunehmen, die engen Verbindungen zwischen den Groninger Mooren und den Ziegeleien in Groningen sowie dem Rheiderland [...] eine Anzahl Lipper dazu gebracht haben dort die Arbeit aufzunehmen."

Beschäftigungsgrundlagen

Die Gründe für die Beschäftigung lippischer Wanderarbeiter sind sowohl in den wirtschaftlichen und sozialen Verhältnissen des Fürstentums Lippe als auch in denen in Ostfriesland zu suchen. Die Wanderarbeiter fanden als nachgeborene Bauernsöhne keine ausreichende Existenzgrundlage, wenn sie nur als Kötter auf den kleinen Stellen im Detmolder Raum arbeiteten. Weil die Frauen und Kinder die kleine eigene Landwirtschaft versorgten, konnten es sich die Lipper "erlauben", für sechs bis sieben Monate während der Erntesaison eine andere Arbeit anzunehmen. In Ostfriesland selbst war das "Sclavenleben", auf den Ziegeleien, bei dem man "früh steif und gichtig wird", wenig begehrt.

1772 schreibt der Kriegs- und Domänenrat Kirsten an die Kanzlei in Berlin, der ostfriesische Untertan könne "durch die Schiffahrt, den Ackerbau und bey der Milcherey sein Brot reichlicher und bequemer verdienen" als auf den Ziegelwerken, wo man "für eine mässige Bezahlung sehr schwere Arbeit der mühseligen Zubereitung der schweren Ziegelerde verrichten" müsse. Bezeichnend ist in diesem Zusammenhang, dass die in Ostfriesland z.B. durch Heirat verbleibenden Lipper häufig nicht beim Zieglergewerbe blieben, sondern gleichfalls ihren Lebensunterhalt in der besser bezahlten Landwirtschaft verdienten.

Dennoch wäre zu vermuten gewesen, dass sich der eine oder andere Arbeitswillige aus Ostfriesland in den Ziegeleien verdingt hätte, und sei es nur, um sich den Weg zur Saisonarbeitsstelle in den Niederlanden zu ersparen. Hier stellte sich aber für die Ostfriesen noch ein besonderes Problem: Arbeitssuchende Knechte ohne eigene Landstelle waren darauf angewiesen, für ein ganzes Jahr Arbeit und Unterkunft zu finden. Sie verdingten sich von Mai bis Ende April des darauffolgenden Jahres. Vermutlich fanden sie auf den Bauernhöfen auch eine bequemere Unterkunft, bessere Verpflegung und soziale Absicherung im Falle von Krankheiten.

Hätten sie sich in den Ziegeleien verdingt, so hätten sie für die fünf Wintermonate des Jahres noch eine andere Unterkunft und Arbeit benötigt. Wenn dann auch noch der Lohn in der Landwirtschaft - zumindest im Jahresschnitt - höher war als auf den Ziegeleien, so gab es keinen Grund, sich um diese Arbeit zu bemühen. Arbeitssuchende mit eigener kleiner Landstelle oder Kolonat konnten es sich im Gegensatz zu den Köttern aus dem Lippischen nur selten erlauben, so lange von der Feldarbeit wegzubleiben. Neben kurzfristiger Saisonarbeit im Frühjahr waren diese Arbeiter vor allem auf einen Zusatzverdienst während des Winters angewiesen, wenn es auch auf den Ziegeleien keine Arbeit gab. Es gab in Ostfriesland aber nur eine begrenzte Zahl Arbeitssuchender, die eine halbjährliche Beschäftigung während des Sommers annahm.

Außerdem scheint dann die notwendige handwerkliche Qualifikation zum Tragen gekommen zu sein, die dazu führte, dass ostfriesische Arbeiter von der Beschäftigung auf Ziegeleien ausgeschlossen bleiben mussten. Durch die Annuität der Beschäftigung von Ziegelarbeitern und das Organisationsprinzip der Arbeit in "Ploegen" konnten die einmal angeworbenen Lipper ihre Qualifikation ständig verbessern und weitergeben. Das Know-how der Lippischen Ziegelmeister reichte sogar aus, um die Neugründung von Ziegeleien für Jungunternehmer zu organisieren. Die begrenzte Zahl von Arbeitsplätzen und das langsame Wachsen der Ziegelindustrie förderten die Entstehung eines geschlossenen Arbeitsmarktes, der nur wenigen zugänglich war.

Die Organisation der lippischen "Ploege"

Die Organisation der Arbeit auf den Ziegeleien selbst lässt auch darauf schließen, dass es den vor Ort Verbliebenen schwer gefallen sein dürfte, in die festgefügten "Ploege" der lippischen Arbeiter aufgenommen zu werden.

Bereits seit dem Ende des 17. Jahrhunderts gab es die Einrichtung des friesischen Boten, der sich, zwischen Unternehmern und Wanderzieglern vermittelnd, ein Monopol für die Versorgung der ostfriesischen Ziegeleien mit lippischen Zieglern aneignen konnte. Auch mussten die Lipper Ziegler im Interesse einer Arbeitsplatzsicherung für Zeiten, in denen unter anderen wirtschaftlichen Voraussetzungen die Ziegelarbeit auch für Ostfriesen interessant sein konnte, danach bestrebt sein, ihre Beschäftigung exklusiv zu halten und ihre "Pflüge" nur mit lippischen Wanderarbeitern zu besetzen.

Die lippischen Ziegler hatten sich ein Monopolwissen über den Umgang mit Klei als Rohrmaterial und das Brennen mit Torf angeeignet. Außerdem war es der Arbeit innerhalb der kleinen Zieglergruppen von fünf bis sieben Männern an einem Brandofen eher förderlich, wenn die Arbeiter z. B. aus einem verwandtschaftlichen oder dörflichen Zusammenhang der Ursprungsregion stammten. Das kam der Wirtschaft- und Lebensgemeinschaft auf der Ziegelei, der "Lipper Commune", sehr entgegen.

Es gab in der Mitte des 19. Jahrhunderts einen kleinen Anteil von Arbeitern, die sich (zeitweise) in Ostfriesland niederließen. Aber ein Arbeiter z.B. aus Jemgum, der jeden Abend in sein Haus zurückkehrt, ist in einem "Ploeg" von vier bis sechs Lippern, die "im Kommune" auf der Ziegelei lebten, sicherlich immer problematisch gewesen.

Auswirkungen des Strukturwandels in der Ziegelindustrie

Das Ende der lippischen Wanderarbeit setzte abrupt um die Wende zum 20. Jahrhundert ein. Die Ursache für das Ausbleiben ist im Strukturwandel der Ziegelindustrie zu sehen. Seit 1872 und verstärkt seit 1892 hatte es eine massive Umstrukturierung im ostfriesischen Ziegeleiwesen gegeben.

Der vermehrte Einsatz der Dampfkraft und die neue Brenntechnik des Ringofens ließen die Handstrichziegelei sehr schnell obsolet werden. Die zentrale Arbeit des Formers wurde von der Presse abgelöst, die enge Zusammenarbeit von Hand zu Hand innerhalb des "Ploegs" durch Maschinen unterbrochen. Höhere Produktionszahlen und höhere Brennkapazitäten erforderten mehr Trockenschuppen und damit verhältnismäßig mehr Arbeiter für den Transport der Rohlinge, für das Einrüsten in die Gestelle und für das Beschicken der Öfen. Die neuen Arbeitsbezeichnungen lauteten jetzt:

  1. Brandmeister
  2. "Facharbeiter": Brenner, Ofenarbeiter, Kleiauflader, Packensetzer, Sumpfleute,
  3. "angelernte Arbeiter": Presskarrenschieber, Abschneider, Lorenkutscher,
  4. Steinrücker.

Die Bezeichnungen machen deutlich, dass sich gegenüber der "Lipper Kommune" eine stärkere Arbeitsteilung durchgesetzt hatte, welche die geschlossenen Kommunestrukturen aufbrechen musste und andere, offenere und unverbindlichere Formen der Zusammenarbeit und des Zusammenlebens zur Folge hatte. Gleichzeitig wurde die Dauer der Kampagne im Sinne einer erhöhten Produktivität der Ziegeleibetriebe bis zum Jahresende verlängert.

Ein reduzierter Teil der Belegschaft - etwa ein Drittel bis die Hälfte - wurde auch noch in den "Winter" hinein, also bis etwa Ende Dezember, weiterbeschäftigt. Das bedeutete, dass man statt früher sieben Monate jetzt bis zu neun Monaten auf der Ziegelei beschäftigt war. Der Meister musste darüber hinaus während der Winterpause oft notwendig werdende Reparaturen an den Ringöfen überwachen oder die Maschinen überholen lassen. Das alte System der lippischen Arbeitswanderer war unter diesen neuen Bedingungen nicht mehr aufrechtzuerhalten.

Während die Meister sich häufig vor Ort niederließen oder dauerhaft in gesonderten Gebäuden auf der Ziegelei untergebracht wurden, blieben vielerorts die Lipper einfach aus. Die vergleichsweise weit entfernt liegenden Arbeitsplätze an der Unterems wurden unattraktiv im Vergleich zu näher liegenden, besser erreichbaren, sich explosionsartig entwickelnden Arbeitsmärkten in der näheren Umgebung Lippes, z.B. im Ruhrgebiet.

Im Jahr 1900 ist durchschnittlich nur noch ein Drittel der auf den ostfriesischen Ziegeleiten Beschäftigten als Wanderarbeiter zu bezeichnen. Von diesen stammten wiederum etwa zwei Drittel aus Lippe-Detmold, also nur insgesamt etwas mehr als 20 % aller Arbeitskräfte auf den ostfriesischen Ziegeleien.