Die Entwicklung der ostfriesischen Küstenregion
unter geologischen Gesichtspunkten

Flachküstenregionen wie die ostfriesischen Küstenregionen reagieren sensibel auf Schwankungen des Meerwasserspiegels. Am deutlichsten schlagen sich diese Änderungen in den Marschen und Watten nieder. Durch rasche und auffällige Ablagerungswechsel zwischen Meeresablagerungen und halbkontinentalem Torf werden diese Wechsel sichtbar. Der Profilaufbau des Bodens der Region ist durch wiederholte Wechsel von transgressive (s.u.) Ablagerungen bzw. regressiven (s.u.) Ablagerungen gekennzeichnet.

Als Transgression wird das Überfluten des Landes durch das Meer bezeichnet. Verursacht wurde es durch den Anstieg des Meeresspiegels. Mit dem Überfluten des Landes beginnt in den überfluteten Gebieten die Ablagerung mariner Sedimente (Meeresablagerungen).
Als Regression wird der Rückzug des Meeres auf Grund des Absinkens des Meeresspiegels bzw. Veränderungen der Wassermassen der Erde z. B. bei Eiszeiten bezeichnet.

Feststellbar ist dies durch Bohrungen. Von transgressiver Überlagerung spricht man, wenn in einem Bohrprofil Meeresablagerungen auf halbkontinentalem Torf lagern. Bei einer regressiven Überlagerung treten umgekehrt Torf über Meeresablagerungen auf. In solchen Ablagerungswechseln drücken sich einerseits Wasserstandsänderungen aus, also das Ansteigen oder Absinken des Wasserspiegels, andererseits aber auch die Geschwindigkeiten, mit denen diese Wasserstandsänderungen ablaufen. Es ergeben sich dabei generelle Zusammenhänge zwischen der Dynamik der Wasserstandsänderungen und Ablagerungswechseln, die in der Abbildung schematisch dargestellt wurde.


Daten zum Stand des Nordseespiegels:
vor 18.000 Jahren: Spiegelstand 130 m unter heutigem Niveau
vor 12.000 Jahren: Spiegelstand  90 m unter heutigem Niveau
vor 10.300 Jahren: Spiegelstand  65 m unter heutigem Niveau

nach Streif


Die sandige Altmoränenlandschaft wird im allgemeinen Geest genannt

In der Küstenregion wird Moorwachstum durch einen steigenden Meeresspiegel begünstigt, da dieser durch verschlechterte Entwässerung landeinwärts eine Vernässungszone vor sich her schiebt. Es werden der für die Moorbildung wichtigen Grundwasser- und Oberflächenwasserspiegel angehoben. Als Zeitabschnitt mit generell steigendem Meeresspiegel bot das gesamte Holozän günstige Voraussetzungen für Moorwachstum. Das Holozän (Nacheiszeit) hat vor ca. 10.000 Jahren begonnen und fällt in den Zeitraum der Erwärmungsphase nach der letzten Eiszeit (Weichsel-Eiszeit, deren Endmoränen in Schleswig Holstein und in Mecklenburg Vorpommern heute noch sehr deutlich sichtbar sind). In der frühen Phase der Küstenentwicklung stieg der Meeresspiegel derart rasch an, dass das Moorwachstum damit nicht Schritt halten konnte. Die Moore gerieten jeweils sehr rasch unter Salzwassereinfluss, starben ab, und über den zuvor gebildeten, meist geringmächtigen Torfen wurden in transgressiver Überlagerung Meeressedimente abgelagert. Die ansteigende Nordsee schob also eine Vernässungszone mit intensivem Moorwachstum vor sich her, in immer weiter landwärts und höher liegende Stellen. Dieser Überflutungsprozess ist anhand datierter Torfe aus der offenen Nordsee sowie dem Küstenraum für die letzten 8600 Jahre und für die Tiefenzone oberhalb 46 m Wassertiefe gut belegt. Es ist aber anzunehmen, dass auch die vorausgegangene Überflutung während der Weichsel-Späteiszeit (vor 15000 bis 10000 Jahren) und des frühen Holozäns, in der der Nordseespiegel von ca. -110 m unter heutigem Niveau auf -46 m angestiegen ist, einen ganz ähnlichen Verlauf genommen hat.


Gliederung des Holozäns in Ostfriesland

Erst im mittleren Holozän (vor ca. 5.000 Jahren) sank die Geschwindigkeit des Meeresspiegelanstiegs. Zeitweilig stieg der Meeresspiegel so langsam, dass das Moorwachstum stärker war als der Anstieg des Meeresspiegels und Marschrandmoore in regressiver Überlagerung auf Meeresablagerungen vorwachsen konnten. Bei neuerlicher Beschleunigung des Meeresspiegelanstiegs kehrte sich der Vorgang wieder um, und Meerwasserablagerungen überdeckten in transgressiver Überlagerung die Moorbildungen. So entstanden die wiederholten Einschaltungen sog. "schwimmender" Torfe der Nacheiszeit (Holozän). Von "schwimmenden Torfen spricht man, wenn Torfe zwischen brackisch-marine Sedimente eingeschaltet sind (sh. schwarze Torfschicht in o. a. Abbildung).

Die frühesten Vermoorungen im Bereich der Watten und Marschen ("schwimmende" Torfe) bildeten sich im ostfriesischen Küstenraum um 5000 bis 4800 v.Chr.. Dabei handelt es sich um vereinzelte Vorkommen in tiefen Einmuldungen. Erheblich günstigere Bildungsbedingungen für Vermoorungen im Bereich der Watten und Marschen ("schwimmende" Torfe) bestanden offenbar zwischen 3600 und 2800 v.Chr. sowie zwischen 1700 und 300 v.Chr.. Wegen der oberflächennahen Lage stößt man häufig beim Ausheben von Baugruben auf diese Torfschicht. Während dieser Zeitabschnitte vermoorte die gesamte Küstenniederung zwischen Ems und Weser großflächig.

Das Sehestedter Außendeichsmoor (schwimmendes Moor) ist ein bekanntes Beispiel für ein vermoortes Gebiet, das später nicht mehr vom Meer überflutet wurde. Es wurde erst nach dem Einbruch des Jadebusens von der See erreicht. Durch das Aufschwimmen der leichten oberen Torfschicht wird das Überfluten heute verhindert. Dieses Klapp-Phänomen gab es früher an vielen Stellen der Nordseeküste. Heute ist das Sehestedter Außendeichsmoor einzigartig auf der Welt und steht unter Naturschutz. Durch Sturmfluten wird es aber zunehmend zerstört.


In geringerem Umfang entstanden Vermoorungen im Bereich der Watten und Marschen auch noch ab der Zeitenwende bis 200 n.Chr.. Danach kam es nicht mehr zu flächenhaften Vermoorungen im Bereich der Watten und Marschen. Nur lokal entwickelten sich Torfe noch in Dünentälern auf den Inseln und im Marschrandmoor. Die Gründe für das Ende flächenhafter Torfbildung im Küstenraum sind bislang nicht geklärt. Einerseits deuten der Wurtenbau (sh. Abb.) auf einen neuerlich beschleunigten Anstieg des Meeresspiegels hin, andererseits gibt es auch Hinweise, dass sich die Tideverhältnisse (Gezeitenverhältnisse - Ebbe und Flut) geändert haben.

Es gab auch kurze Phasen der Meeresspiegelabsenkung. Vieles deutet darauf hin, dass das Moorwachstum vorübergehend unterbrochen war und Bodenveränderungsprozesse auf der Oberfläche bzw. Torfverzehr auf der Mooroberfläche entstanden. In ausgedehnten Moorgebieten hat der absinkende Wasserspiegel außerdem die Zufuhr nährstoffhaltigen Grund- und Oberflächenwassers unterbunden, so dass es flächenhaft zu einem raschen Umschlag von Niedermoor- zu Hochmoorvegetation gekommen ist. Eine solche Absenkungsphase lässt sich um Chr. Geburt sowie zwischen 1395 und 1650 n.Chr. aus einem Vergleich von geologischen Befunden mit Wasserstandsbeobachtungen ableiten.

Bei der Besiedlung der Marschgebiete muss zwischen Mittelhochwasser und Sturmflugspiegel unterschieden werden. Während die Küstenlinie vom Mittelhochwasser bestimmt und geprägt wird, richten sich Siedlungen nach Sturmflutspiegel. Die ältesten Marschansiedlungen Deutschlands haben wahrscheinlich bei Jemgum und Hatzum im Rheiderland sowie Rodenkirchen in der Wesermarsch stattgefunden (ca. 1.500 - 600 v. Chr.). Diese Ansiedlungen entstanden zu Zeiten seltener Sturmfluten. Spätere Flachsiedlungen konnten um Chr. Geburt nachgewiesen werden. Diese wurden nachträglich auf bis zu 7 übereinanderliegende Wohnhorizonte (Wurten oder Warften) erhöht. Aus der jeweiligen Wurtenhöhe kann der damalige Sturmflutspiegel abgeleitet werden. Im Zuge der Völkerwanderung (4/5 Jh. n. Chr.) verließen die Bewohner die Wurten (Alten Wurten). Weitere Untersuchungen in Heppens (WHV) und Oldorf (Wangerland) ergaben, dass es im 7 Jh. zur Neubesiedlung der Marsch kam. Durch erneutes Einsetzen von Sturmfluten mussten wiederum Wurten (Jüngere Wurten o. Warften) errichtet werden bis 1.100 nach Chr. Deiche die Schutzfunktion gegen die See übernahmen (sh. unten).


Genaue regionale Auswertungen zeigen, dass die Ablagerungswechsel nicht in allen Küstenabschnitten gleichzeitig einsetzen oder auslaufen. Obwohl also die Wasserstandsänderungen in ihrem Trend, ihrem Ablauf und Ausmaß die gesamte Küstenregion in gleichartiger Weise betroffen haben, reagierten einzelne Küstenabschnitte, je nach den örtlichen Verhältnissen, durchaus unterschiedlich auf diese äußeren Einflüsse. Dabei wurde der überregional gleichlaufende Trend teilweise überprägt oder sogar vollständig verdeckt. Das heißt, in benachbarten Küstenabschnitten können Phasen des Moorwachstums oder Phasen mariner Sedimentation unterschiedlich lange andauern bzw. einzelne transgressive oder regressive Phasen vollständig ausfallen. Vielfach überliefern die angetroffenen Schichtenabfolgen nur ein lückenhaftes Bild der tatsächlich abgelaufenen Ereignisse.

 

nach:
Hansjörg Streif, Das ostfriesische Küstengebiet, Nordsee, Inseln, Watten und Marschen, Sammlung Geologischer Führer 57, Gebr. Borntraeger, Berlin Stuttgart, 1990, S. 180 ff.
Karl-Ernst Behre u. Hajo van Lengen, Ostfriesland, Geschichte und Gestalt einer Kulturlandschaft, Ostfriesische Landschaft, Aurich, 1996 14 ff.

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Hansjörg Streif, Das ostfriesische Küstengebiet, Nordsee, Inseln, Watten und Marschen, Sammlung Geologischer Führer 57, Gebr. Borntraeger, Berlin Stuttgart, 1990, S. 180 ff.

 

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