Einblicke
und Eindrücke
Lanzarote
im Norden. Hier steht man an einem Aussichtspunkt hoch oben
auf dem Hochplateau des El Risco. Der Blick geht über den
Atlantik. Und da liegt sie - direkt vor uns: die kleinste der
bewohnten kanarischen Inseln. Ein paar Vulkankegel, 2 weiße
Dörfer, ein Hafen. Der Gedanke nach Einsamkeit und Ruhe,
der Wunsch dort zu sein macht sich im Kopf breit. La Graciosa,
verloren und vergessen. Aber das täuscht. Man findet dort
eine ganz eigene Welt, ein anderes Leben vor, wenn man sich
dazu entschlossen hat, eine andere Seite der Kanaren kennen
zu lernen. Das Gepäck wird noch von Hand auf das Boot verladen,
die Fahrgäste auch, mehr oder weniger. Einen Übergangssteg
gibt es nicht. Die Fahrt dauert vielleicht 20 Minuten. Man umrandet
die Nordspitze Lanzarotes, links die massive dunkle Felswand
, rechts hell und freundlich der einzige bewohnte Ort auf La
Graciosa: La Caleta del Sebo. Um das Boot zu verlassen, erhält
man eine kleinen symbolische Hilfestellung um nicht zwischen
Boot und Kaimauer zu treten. Die Uhren ticken hier anders. Tourismus
wird hier anders gelebt.
Sehr schnell erreicht man den zentralen Platz des Ortes. Hier
spielt sich zu ganz bestimmten Tageszeiten das Leben der Insulaner
ab. Der Blick folgt der Häuserzeile, die in erster Reihe
direkt am Wasser liegen. Der erste Gang durch den Ort lässt
nordafrikanisches Flair verspüren.
Es
gibt keine befestigten Straßen. Der Ort wird von sandigen
Pisten durchzogen. Sobald der Wind etwas kräftiger weht,
bilden sich kleinere und auch größere Verwehungen
vor den Haustüren, die von den Hausfrauen mit stoischer
Gelassenheit wieder beiseite gefegt werden. Eine Struktur ist
auf den ersten Blick nicht erkennbar. Nur die Hafenanlage und
die Straße vom Hafen zum Dorfplatz sind befestigt. Die
schneeweißen Häuser sind größtenteils
einstöckig, maximal zweistöckig. Fenster und Türen
sind in leuchtendem Blau oder Grün gestrichen und ziehen
unweigerlich den Blick auf sich. Sie besitzen eine Leuchtkraft,
die durch das Weiß der Häuser und das gleißende
Sonnenlicht eine Farbintensität erreichen, dass man selbst
nach dem zehnten Gang durch den Ort immer wieder fasziniert
ist.
Das Leben tobt hier nicht, wie man es von den anderen Kanarischen
Inseln kennt, wo Türsteher den ganzen Tag versuchen, Gäste
in die Lokale zu locken. Das Einkaufen wird hier gezwungenermaßen
auf das Notwendigste reduziert. Es gibt 2 Lebensmittelläden,
1 Eisenwarengeschäft, 1 Fleischerei und ganz zufällig
findet man irgendwann die Apotheke. Neuerdings gibt es ein Internet-Cafe
und einen Geldautomaten. Der Fortschritt ist auch hier eingezogen.
Ein Textil- oder Modegeschäft sucht man vergebens. Als
Andenken eignen sich selbst gesuchte Muscheln, eine Tüte
gelben Sand von der Playa de las Conchas oder den etwas helleren
von der Playa Francesca. Andenkenläden sucht man hier vergeblich.
Man kann höchstens die eine oder andere Ansichtskarte erwerben.
Keiner drängt dem Gast irgendetwas auf, auch nicht in den
Bars und Restaurants. Entweder geht man hin oder man lässt
es bleiben. So einfach ist das. Jeder Laden prägt sich
durch eine wesentliche Eigenschaft ein: freundlich oder unfreundlich.
Trotzdem: man muss sie kennen lernen. Nur so lassen sich winzige
Verhaltensänderungen positiv für sich selbst auswerten:
ein leichtes Zucken in den Mundwinkeln einer Geschäftsfrau,
direkter Blickkontakt, wenn man den cafe con leche serviert
bekommt oder die differenzierte Frage nach dem Brotbelag: queso
blanco o amarillo? (weißer oder gelber Käse). Ein
geeistes Bierglas in einem Restaurant erscheint einem als purer
Luxus. Wenn man dann auch noch an der Kasse vorgelassen wird,
weil man nur 2 Teile bezahlen will und einem ein freundliches
"adios" hinterhergerufen wird, ist zumindest die Entscheidung
für eines der beiden Lebensmittelläden gefallen.
In den Bars und Restaurants sieht das Verhalten nicht anders
aus. Genauso knapp, wie man seine Bestellung aufgibt (weil man
des Spanischen nicht mächtig ist), bekommt man das Ergebnis
serviert. Irgendwie hat man ständig das Gefühl, dass
man gerade bei einer wichtigen Sache stört. Aber wer die
Ostfriesen kennt, unter ihnen lebt oder vielleicht selbst einer
ist, der fühlt sich auf La Graciosa durchaus nicht unwohl.
Man wird in Ruhe gelassen. Der Gast merkt relativ schnell, dass
er hier nur als Zuschauer zugelassen ist. Wenn man mit dieser
"Ignoranz" umgehen kann, ist man hier richtig.
Es könnte jetzt der Eindruck entstehen, die Insulaner seien
redefaul, aber das stimmt überhaupt nicht. Eine wild gestikulierend,
vor allen Dingen aber laute Unterhaltung - auch über größere
Entfernungen - ist normal.
Und
trotzdem gibt es keinen besseren Ort um Ruhe und Entspannung
zu finden. Anzumerken ist, das mit Ruhe nicht Stille gemeint
ist. Wenn man die Geräusche für sich ausgrenzen kann,
trifft diese Aussage zu. Ist dies nicht der Fall, zerrt es an
den Nerven. Mitten im Geschehen zu sitzen und einen Kaffee zu
trinken und ein Buch zu lesen, lässt vieles im Leben unwichtig
erscheinen. Hier kann man die Seele baumeln lassen. Es lassen
sich aber auch richtige Orte der Stille finden. Sobald man den
Ort verlässt, trifft man nur noch wenig Menschen. Auf den
ersten Blick erscheint die Insel sehr karg - Geröll und
Sand. Bei genauerem Hinsehen entdeckt man eine Vielfalt einer
eigenartigen Vegetation, die diesem trockenem Boden noch Lebensqualität
abgewinnt. Aus einer gelbsandigen Fläche wächst ein
grüner, dickblättriger Stängel hervor, Gestein
ist mit üppigen Flechten bewachsen. Winzig kleine Blüten
erscheinen an einem Strauch, der vor ein paar Tagen vertrocknet
war. "Die Wüste lebt."
Für den Tagestouristen dürfte dies allerdings keine
Rolle spielen. Die Tageshitze ausnutzend, strömen sie auf
die Insel, zielstrebig in Richtung der Strände, möglichst
an die nahe gelegenen um nicht so weit laufen zu müssen.
Und
am Nachmittag strömen sie zurück zum Boot. Der momentanen
Bautätigkeit nach zu urteilen, will man mehr Tourismus
auf die Insel holen. Die Zahl der Ferienappartments hat zugenommen.
Die meisten Gäste bleiben jedoch häufig nur ein paar
Tage. Die Gründe für den kurzfristigen Aufenthalt
dürften an dieser Stelle eindeutig sein.
Der Morgen und der Abend sind die angenehmsten Zeiten, die Temperatur
wird angenehmer, das Leben der Insulaner beginnt. Gegen Abend
treffen sich sämtliche Generationen auf dem Dorfplatz.
Die Männer tragen ihren Fischfang des Tages vor dem Kühlwagen
zusammen. Richtig fette Beute. Sie wird gewogen, begutachtet,
gezählt und verladen. Das Stimmengewirr dauert bis in die
Nacht hinein. Dann wird es für ein paar Stunden ruhig.
Morgens geben die ersten Sonnenstrahlen den Dingen ihre Farbe
zurück, mit einem Goldschimmer versehen und einer nachhaltigen
Wirkung für das menschliche Auge.
Text:
Heide Schindelasch