Neustadtgödens - der kirchenreiche Ort -
Konfessionsvielfalt Neustadtgödens


Mit dem Abschluss eines Vergleichs zwischen der Herrlichkeit Gödens und der Gräfin Anna von Ostfriesland wurde 1544 die Voraussetzung für eine große Eindeichungsmaßnahme am Rande des “Schwarzen Bracks” geschaffen. Das neu gelegte Siel wurde die Keimzelle von Neustadtgödens. Zuvor hatten schon einige Glaubensflüchtige der so genannten Täuferbewegung in Gödens Zuflucht gefunden. Zu den Bauarbeiten wurden Holländer angeworben, von denen viele ebenfalls dieser religiösen Bewegung angehörten.

Menschen mennonitischen Glaubens waren somit maßgeblich an der Gründung Neudstadtgödens beteiligt und gaben während der Bütezeit des Ortes im 17. und 18. Jahrhundert hier wirtschaftlich und kulturell den Ton an. Auffallend ist das auch heute noch niederländisch geprägte Ortsbild mit seinen 5 Sakralgebäuden. Nur zwei werden heute noch als solche genutzt. .. In den 1860er Jahren endete die Mennonitengemeinde in Neustadtgödens.
(aus: Michael Clemens, Die Mennoniten von Neustadtgödens und ihre Kontake in die Niederlande, Harlinger Heimatkalender 2007, S. 91)

Im Religionsfrieden von Augsburg 1555 war den Landesherren, das Recht zugebilligt worden, zu reformieren oder den alten katholischen Glauben im Herrschaftsbereich beizubehalten.


Gräfin Anna von Ostfriesland

In Ostfriesland gab es die Besonderheit, dass es im entkatholisierten Ostfriesland reformierte und lutherisches Protestanten lebten und das hier nicht vom Grafen sondern von den einzelnen Territorialherren bestimmt wurde, welche Religion für das jeweilige Gebiet galt. Die reformierte Herrlichkeit Gödens war umgeben von lutherischen Gebieten. Der calvinistische (reformierte) Franz Ico von Frydag heiratete 1639 die Katholikin Margarethe Eilisabeth von Westerholt aus dem Gelderland. Nach dem Tod von Franz Ico übernahme Haro Burchard von Fridag die Herrlichkeit Gödens. Heimlich gehörte er, durch die Erziehung seiner Mutter dem katholischen Glauben an, der durch Landesverträge in Ostfriesland strickt verboten war. Hieraus ist der tolerante Umgang mit des Glaubensgemeinschaften abzuleiten.

Die Lutheraner
Mit der Zuwanderung aus dem lutherischen Jeverland, Oldenburg und später auch Ostfriesland stellten die Lutheraner bereits Ende des 17. Jh. über die Hälfte der Bevölkerung in dem zur reformierten Kirche gehörenden Neustadtgödens. 1695 erhielten sie als erste Glaubensgemeinschaft die Genehmigung, eine eigene Kirche zu bauen. Die in Ostwestrichtung errichtete Kirche erhielt eine halbrunde Apsis mit 3 Spitzbogenfenster. Der Kirchenbau verstieß gegen den Augsburger Religionsfrieden und war politisch ein Wagnis. Nur durch diplomatisches Geschick seitens der Herrlichkeit konnte das Eingreifen ausländischer Truppen verhindert werden.

1714 wurde der Kirchenturm der evangelisch-lutherischen Kirche nachträglich angebaut und steht teilweise als Blickfang auf der Straße. Der Turm besitzt ein Sandsteinportal über dem sich die Wappen des Grafen Burchard Philipp von Fridag und seiner Frau befinden und ist mit einer barocken Haube versehen. Hinter der Kirche befindet sich der alte evangelische Friedhof.


Lutherische Kirche.
Erbaut 1695.

Turmspitze der reformierten Kirche.
Heute im Museum im Landrichterhaus.

Die Reformierten

Schon sehr früh im 16. Jh. schloss sich die Herrlichkeit Gödens der Lehre Calvins an. 1558 erließ die Herrschaft ein Edikt über das Verbot der öffentlichen Religionsausübung. Alle Bewohner der Herrlichkeit wurden formell gezwungen, den reformierten Glauben anzunehmen. Amtshandlungen wie Taufen, Hochzeiten und Beerdigungen wurden gegen Gebühr in der einzigen, reformierten, Kirche in Dykhausen abgehalten. Religionsflüchtlingen gegenüber blieb Gödens jedoch weiterhin tolerant eingestellt. 1715 erhielten die Reformierten in Neustadtgödens die Erlaubnis, ihre eigene Kirche zu bauen.

Zur Kirche gehörte bis zur Mitte dieses Jahrhunderts ein Dachreiterturm mit Kuppeldach. Auch dieses Gotteshaus hat ein Sandsteinportal mit den Wappen des Grafen Fridag von Gödens. Die Kirche diente bis kurz vor dem Krieg als Gotteshaus und wurde später an einen Privatmann verkauft. Heute befinden sich Wohnungen im Haus.



 

Die Katholiken

1716 wurde am Neustadtgödenser Tief die St. Josefs Kirche erbaut. Durch die Heirat des reformierten Grafen Franz Ico von Frydag zu Gödens mit der Katholikin Margarethe von Westerholt im Jahre 1639 wurde Gödens für zwei Generationen katholisch. Diese Verbindung stellte die kirchlichen Verhältnisse auf den Kopf und war zur Zeit des 30jährigen Krieges etwas Unerhörtes. Ihre acht Kinder wurden im katholischen Glauben
erzogen. Durch die Intervention der beiden ältesten Söhne beim deutschen Kaiser entstand hier 1692 die erste katholische Missionsstelle im sonst protestantischen Norden. Mit dem Bau einer Kirche im Jahre 1715 wurde auch das erste katholische Gotteshaus in Ostfriesland nach der Reformation errichtet.

 

erste nachreformatorische katholische Kirche
in Ostfriesland von 1715.

 

Die Mennoniten
Durch die tolerante Haltung der Herrschaft Gödens fanden die Anhänger der verfolgten Täuferbewegung hier eine Zufluchtsstätte. Vor allem die holländischen Anhänger der Bewegung, die so genannten Mennoniten (nach Menno Simons) siedelten sich an. Nach dem 30jährigen Krieg stellte die Herrlichkeit Gemeinschaftsschutzbriefe aus, die eine erneute Ansiedlung von Mennoniten aus Holland, Emden und Leer zur Folge hatte. Im 17. und 18. Jh.
entwickelte sich der Ort darauf hin zur größten Mennonitensiedlung Ostfrieslands. 1741 wurde ihnen der Bau einer eigenen Kirche gestattet.

Die Zahl der Gläubigen war nach 1800 rapide gesunken, so dass man sich 1841 keinen Prediger mehr leisten konnte. Das Gebäude verfiel zusehens. In den Kriegen 1870/71 sowie 1914/18 wurden die Räume als Militärdepot genutzt. Ab 1934 wurden sie als Turnhalle und Feuerwehrhaus verwendet. Die lutherische Kirche nutzte sie ab 1958 als Begräbniskapelle. Heute wird das Gebäude (ehmals Vermaning) in der Mitte der Brückstraße als gastronomischer Betrieb genutzt.


ehmals Vermaning


Menno Simons 1496-1561

 


Die Synagoge von 1852

Die Juden


Im Reich erachtete man Juden als recht- und schutzlos. Einzig der Erwerb eines Schutzbriefes sicherte ihnen einige Rechte zu. Pro Person und Jahr mussten sie einen Dukaten und eine Gans als Schutzgeld an die Herrlichkeit bezahlen. Dafür durften sie sich frei bewegen, Handel treiben und ihren Gottesdienst frei abhalten. Da Ihnen die Ausübung eines Handwerkes generell untersagt war, fanden die Juden vor allem als Schlachter und Viehhändler Beschäftigung. Die jüdische Gemeinde erlebte mit dem Aufschwung des Viehhandels um 1800 ihre Blütezeit. Mitte des 19. Jh. war jeder vierte Bewohner des Ortes jüdischen Glaubens. 1852 wurde auch ihnen der Bau einer Synagoge gestattet.

Auch die Juden Wilhelmshavens nutzen bis 1902 diese Synagoge als Gotteshaus. Sie überstand als einzige Synagoge Ostfrieslands die "Kristallnacht" der Nazis im Jahre 1938.

Inzwischen befand sich im Gebäude eine Farbenfabrik. Aus Angst vor einer größeren Explosion in der eng bebauten Kirchstraße verzichteten die Nazis auf die Inbrandsetzung. 1940/41 wurden die letzten 8 Juden Neustadtgödens verhaftet und in Vernichtungslager gebracht. Einer (Robert de Taube) kehrte als Überlebender nach Neustadtgödens zurück. Er starb 1982 und ist der letzte, der auf dem jüdischen Friedhof von Altgödens begraben wurde.

Die Leinenweberei

Nach dem 30jährigen Krieg erlangte Neustadtgödens für das zerstörte Ostfriesland als Produktionsort und Umschlagplatz große Bedeutung. Mit einer geschickten Ansiedlungspolitik des Hauses Gödens wurde vor allem das wichtige Handwerk der meist mennonitischen Leinenweber heimisch. Hergestellt wurden feine Tischdecken, Servietten und Bettwäsche. Von 1660 - 1675 waren in Neustadtgödens 66 Leinenweber wohnhaft. Mit einer Webleistung von ca. drei Metern war für das notwendige Bleichen ein enormer Platzbedarf verbunden. Eigens dafür blieben einige Flächen von Baumbewuchs und Bebauung frei. Durch Handelsbeschränkungen unter den Preußen wurde das Gewerbe unrentabel, die Handwerker wanderten ab. Die Bleichen verloren ihren ursprünglichen Sinn.

 


Die Bleichwiesen im Ort. Karte Mitte des 17. Jh

Jüdischer Friedhof von Neustadtgödens -
84 Grobsteine, die allerdings nicht mehr auf den ursprünglichen Standorten stehen.

Jüdischer Friedhof

Die erste Ansiedlung von Juden in Neustadtgödens kann um das Jahr 1640 zurückdatiert werden. Mit der Ausstellung von Schutzbriefen durch die Herrlichkeit Gödens wurden in der Folgezeit weitere Juden ermutigt, sich dort anzusiedeln. 1660 erhielten die Juden von Neustadtgödens von Margarethe Elisabeth von Westerholt einen ersten Schutzbrief. 1708 gestand ihnen der Graf Burchard Philipp von Frydag einen eigenen Friedhof zu. Dieser wurde auf dem so genannten Maanlande, zwischen Schloss Gödens und Neustadtgödens gelegen, errichtet. Nach jüdischer Tradition durften ihre Friedhöfe nur außerhalb von bewohnten Ortschaften angelegt werden. 1982 wurde der letzte in Neustadtgödens lebende Jude dort beerdigt.

 

"Ich war lange nicht sicher, was mich mehr fasziniert an den historischen Informationen über Neustadtgödens - die Tatsache, daß das Meer einmal bis dorthin reichte, quasi den Saum des Festlandes bildete wie heute Wilhelmshaven, oder die andere erstaunliche Sache, daß in diesem Ort es einmal fünf verschiedene Kirchen gegeben hat und fünf Konfessionen friedlich miteinander gelebt haben. Ich hätte gern die Nordsee nach Neustadtgödens in irgendeiner Form zurückgebracht ...
Aber dann fand ich ein Schrotteil aus Eisenlegierung, das mich wie ein Hemd, eine Hemdsbrust, eine Torsohülle anmutete, in das ich fünf Orgelpfeifen steckte, die diese fünf Kirchen symbolisieren. Letztlich entsprichen ja alle Religionen der einen metaphysischen Sehnsucht des Menschen"
Traud'l Knoess, Sande "singing ONE song"
aus: Skulpturen für Neustadtgödens, Galerie Schlieper


Die Skulptur ist am Glockenturm der katholischen Kirche befestigt.

Neustadtgödens hat ein Heimatmuseum mit vielen Schautafeln zur Eindeichung des Schwarzen Bracks und alte Küstenverlaufskarten. Sie werden sehr freundlich von auskunftswilligen Personen zu geschichtlichen Fragen betreut.
Neustadtgödens muß man gesehen haben.

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